Wie tickt die Versicherungswelt in London?
Risiken versichern, die sonst keiner versichert. Die Beine von David Beckham, der Po von Jennifer Lopez, die Brüste von Madonna oder die Brusthaare von Tom Jones sind gut versichert. Stolze Versicherungssummen kassieren diese Stars im Schadenfall für die genannten Körperteile. Möglich macht das der internationale Versicherungsmarktplatz Lloyd’s of London. Oliver Fink, COO von faircheck, besuchte Lloyd’s of London zusammen mit Branchenkollegen im Herbst letzten Jahres. Andrea und Peter Winkler reisten gemeinsam mit einer Delegation aus Versicherungen und den Versicherungsforen nach London.
Ursprünglich fungierte das Kaffeehaus von Edward Lloyd in der Londoner Tower Street als Treffpunkt zwischen Reedern und Geschäftsleuten, die bereit waren, Schifffahrtsrisiken zu übernehmen bzw. abzudecken. Der Bedarf war im ausgehenden 17. Jahrhundert groß und „Lloyds“ entwickelte sich schnell zum internationalen Versicherungsmarktplatz.
Lloyd’s of London befindet sich mitten im Finanzviertel Londons und betreibt das Geschäft im 1986 fertiggestellten Bürokomplex, der die Handschrift des Architekten Richard Rogers (u.a. Centre Pompidou) trägt. Bereits der Fußweg durch Gassen, an denen Hochhäuser aus Stahl und Beton aufragen, gefolgt von einem Spaziergang durch den Leadenhall Market, der als Kulisse für Harry Potter diente, vermittelt die für London typische Atmosphäre zwischen Tradition und Moderne. Dieser Eindruck verstärkt sich, nachdem man das Glasportal des Gebäudes hinter sich lässt und – nach vorheriger Ausweiskontrolle und in Begleitung eines Guides – den Trading Floor betritt. Hundert hochmodern ausgestattete, digitale Arbeitsplätze auf der Hauptebene und auf den galerieartig angeordneten Etagen darüber, zeugen nicht mehr wirklich von den einst an Kaffeehaustischen eingefädelten und abgewickelten Geschäften.
Richtet man den Blick allerdings ins Zentrum des Floors, erblickt man dort einen markanten, hölzernen Glockenturm, der die Schiffsglocke der legendären HMS Lutine – versichert durch Lloyd’s, beladen mit Gold und Silber und gesunken 1799 vor der niederländischen Küste – beherbergt. Die „Lutine Bell“ wurde 1858 aus dem Wrack geborgen und im Underwriting-Room aufgehängt. Angeschlagen wurde sie zu Informationszwecken, wenn ein Lloyds versichertes Schiff überfällig war bzw. glücklicherweise wiederauftauchte. Diese Tradition hat bis heute bestand – die Glocke ertönt bei Todesfällen im Königshaus oder bei Katastrophen wie den Londoner Bombenanschlägen im Jahr 2005. Ebenfalls traditionsreich geführt werden heute noch die sogenannten Loss Books, in denen Schiffskatastrophen wie die der Titanic eingetragen wurden und nachzulesen sind – nebst original Versicherungsschein, ausgestellt durch Lloyds.
Eine Reise zwischen Tradition und Moderne
Begibt man sich mit dem Lift, der wie die gesamte Haustechnik außen an der Glasfassade angebracht ist (diese Besonderheit sorgt auch für die unverwechselbare Optik) in die oberen Etagen und tritt gemeinsam mit dem Guide durch die Büroflure, an denen moderne Besprechungsräume mit atemberaubender Aussicht angesiedelt sind, landet man unvermittelt wieder in der alten Zeit, im Committee. Dieser 1763 im alten Lloyds Gebäude errichtete Speisesaal wurde Stück für Stück abgetragen und im Rogers-Gebäude wiederaufgebaut, womit allerdings der Architekt dem Vernehmen nach nicht sehr glücklich war.
Brexit birgt Fallstricke
Nach einer 300-jährigen, ereignisreichen Geschichte stehen dem Unternehmen die nächsten Unwägbarkeiten der politischen Art bevor. Der gelinde gesagt etwas unkoordiniert erscheinende Brexit dürfte etwas Nervosität in den Vorstandsetagen von Lloyds hervorrufen. Wer weiß, vielleicht findet demnächst der nächste Eintrag in den Geschichtsbüchern von Lloyds statt.
Finanzplatz London gewährt Ein- und Ausblick
Andrea und Peter Winkler regten bei den Versicherungsforen eine Reise zum Finanzplatz London an und machten sich gemeinsam mit einer Delegation aus österreichischen Versicherungen und den Versicherungsforen ein Bild. Auf der Agenda stand neben Lloyd’s auch der Besuch bei Liberty Specialty Markets, einem der größten Sachversicherer der Welt. Die Einblicke waren außerordentlich interessant und thematisierten u. a. die Herausforderungen und das Vorgehen rund um Brexit. Peter Winkler: „Ein durch und durch informatives und gastfreundliches Treffen – immer wieder mit einem wunderbaren Ausblick verbunden. Als nächste Reise werden wir einen Besuch in Holland oder Spanien anregen, da diese Länder besonders innovativ im Schadenbereich unterwegs sind.“