Gastbeitrag Versicherungsforen Leipzig: Weiter Weg, lohnendes Ziel
Reparieren statt Ersetzen, Honigbienen am Firmengelände und E-Bikes zum Leasen – die meisten Versicherer haben inzwischen Nachhaltigkeitsmaßnahmen etabliert. Doch wie lässt sich Nachhaltigkeit messen?
Im Jahr 2019 verkündete die EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen den „European Green Deal“. Damit soll unter anderem das Ziel verfolgt werden, Europa bis 2050 zum ersten „klimaneutralen Kontinent“ zu machen. Da dies zahlreiche Veränderungen in der Realwirtschaft und dementsprechend hohe Investitionssummen voraussetzt, wird die Finanzwirtschaft – und somit auch die Versicherungsbranche – in die Pflicht genommen.
Als große institutionelle Anleger sollen Versicherer zur Finanzierung der nachhaltigen Transformation beitragen. Um dies zu erreichen, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche regulatorische Vorgaben auf den Weg gebracht.
Um verschiedene Unternehmen oder Produkte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsperformance vergleichen zu können, ist eine einheitliche Berichterstattung notwendig. Diese soll durch verschiedene Regularien gewährleistet werden, welche zusammen die „Sustainable Finance Strategy“ der EU bilden.
Die Bandbreite an Nachhaltigkeitsaktivitäten ist groß, eine Wirkungsmessung ist jedoch oft schwierig Die meisten Versicherungsunternehmen haben Nachhaltigkeit bereits in ihre Geschäftstätigkeiten integriert: Im Produktbereich reichen die Maßnahmen vom Prinzip „Reparieren statt Ersetzen“ über die Inkludierung technischer Geräte, wie zum Beispiel Photovoltaikanlagen oder Wallboxen in die Gebäudeversicherung, bis hin zur Übernahme von Mehrkosten für energieeffizientere Varianten bei der Wiederbeschaffung defekter Hausgeräte. In der Kapitalanlage und im Underwriting wird ebenfalls zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit gelegt, zum Beispiel indem für klimaschädliche Branchen, wie die Kohleindustrie, keine neuen Versicherungsverträge mehr angeboten werden.
Auch bei den unternehmensinternen Nachhaltigkeitsaktivitäten ist die Bandbreite groß: Bienenstöcke auf dem Betriebsgelände, Anreize zur emissionsarmen Fortbewegung, z.B. durch vergünstigte ÖPNV-Tickets, Bikesharing oder Leasingangebote für E-Bikes, oder die Sensibilisierung der Mitarbeitenden durch Nachhaltigkeits- Apps und -Challenges.
Dass die beliebtesten Maßnahmen größtenteils auf den Umweltaspekt der Nachhaltigkeit einzahlen, ist kein Zufall: Da die Themen Klima- und Umweltschutz in den vergangenen Jahren gesellschaftlich sehr präsent waren, erscheinen entsprechende Maßnahmen auch für Laien sinnvoll und nachvollziehbar. Dass Governance und Soziales zwei weitere, ebenso relevante Nachhaltigkeitsdimensionen darstellen, ist hingegen vielen Menschen (noch) nicht bewusst. Hinzu kommt, dass umweltbezogene Daten in Unternehmen oft vergleichsweise einfach beschafft werden können, da bereits Informationen zu Energieverbrauch und -quellen, Abfallaufkommen und Wasserverbrauch vorliegen, aus denen wiederum die Treibhausgasemissionen abgeleitet werden können. Doch am Beispiel der Erfassung der Daten zur Mitarbeitermobilität zeigen sich Herausforderungen:
Zwar lassen sich Dienstreisen leicht nachvollziehen, da die Daten zu Flug- und Bahnreisen bereits im Rahmen der Buchhaltung vorhanden sind, komplizierter wird es jedoch bei der Erfassung des Pendlerverkehrs. Hier wird noch oft mit Schätzwerten oder Hochrechnungen gearbeitet, da keine genauen Angaben vorliegen. Grundsätzlich ist die Erfassung solcher Nachhaltigkeitsdaten zumindest am Anfang oft mit Mehrarbeit verbunden, da – anders als in der Finanzbuchhaltung – die Berichtsprozesse meistens noch nicht etabliert sind.
Bis die Prozesse des Nachhaltigkeitsmanagements in allen Unternehmen vollständig etabliert sind, ist es noch ein weiter Weg Die bisherigen Ausführungen bezogen sich vor allem auf die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit. Doch wie sieht es in den Dimensionen Governance und Soziales aus? Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sieht vor, dass Unternehmen im Rahmen des Governanceaspekts über Unternehmensführung, Risikomanagement, interne Kontrolle und Geschäftspraktiken berichten. Dies umfasst zum Beispiel Informationen zur Rolle von Verwaltungs-, Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen hinsichtlich Nachhaltigkeit, zu Antikorruptionsmaßnahmen, zu Lobbyaktivitäten und anderem politischen Engagement sowie zu den Geschäftsbeziehungen.
Die Dimension Soziales beinhaltet Angaben zur eigenen Belegschaft, den in der Wertschöpfungskette beteiligten Personen, betroffenen Communitys sowie Verbrauchern und Endnutzern. Dazu zählen beispielsweise Informationen zur Chancengleichheit im Unternehmen (z.B. in Bezug auf Geschlechtergleichheit und faire Vergütung), zu den Arbeitsbedingungen (z.B. Arbeitssicherheit, Mitarbeiterbeteiligung, Vereinbarkeit von Beruf und Privatem) sowie zur Achtung der Menschenrechte und anderer internationaler Standards. Analog zur EU-Taxonomie soll es künftig eine Sozialtaxonomie geben, die definiert, welche Unternehmen bzw. Investitionen als sozial gelten und so zur Lenkung der Finanzströme in sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten beitragen soll. Ein Entwurf der Expertengruppe „Platform on Sustainable Finance“ wurde bereits
Anfang 2022 veröffentlicht. Wann die EU-Kommission darauf reagieren und die Sozialtaxonomie verabschieden wird, ist jedoch zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes noch nicht absehbar. Sicher ist: Das Thema Regulatorik wird die Branche noch eine Weile beschäftigen, denn es wird dauern, bis sich Prozesse und Methoden zur Berichterstattung und Wirkungsmessung von Nachhaltigkeitsaktivitäten etabliert haben. Bis dahin hilft der Blick über den Tellerrand, denn der Austausch mit anderen Versicherern und
Branchen bringt oftmals wichtige Erkenntnisse. Wenn die Zunahme an regulatorischen Vorgaben und die damit verbundene Mehrarbeit gelegentlich Ärger und Frust verursachen, hilft es sich die zugrunde liegenden Ziele vor Augen zu führen: Nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann die Transformation der Wirtschaft und eine Begrenzung der globalen Erwärmung gelingen. Aber auch aus ökonomischer Sicht bietet es Unternehmen zunehmend Vorteile, wenn sie sich für Nachhaltigkeit engagieren und entsprechende
Maßnahmen umsetzen: Einerseits können diese langfristig zu Kosteneinsparungen führen (beispielsweise führt die Installation von Photovoltaik- und Solarthermieanlagen zu mehr Unabhängigkeit von aktuellen Energiepreisen), andererseits stellt Nachhaltigkeit gerade für junge Menschen oftmals ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl ihrer zukünftigen Arbeitgeber dar und kann Unternehmen im Wettbewerb um Nachwuchskräfte daher einen großen Vorteil bieten.
Autorin: Lisa-Marie Heimes ist Projektreferentin und Nachhaltigkeitsmanagerin bei den Versicherungsforen Leipzig.
Ihre Ansprechpartnerin: Nadine Marquardt, Telefon: +49 341 98988-224,
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